1.NÜRNBERGER-ELISABETH-KÄSEMANN-SYMPOSIUM

Kooperationen

„Internationale Strafverfolgung staatlicher Verbrechen in Deutschland und Lateinamerika: 1933 – 1976 – heute“

19. Juni 2017, Schwurgerichtssaal 600, Nürnberger Justizpalast

WILLKOMMEN UND GRUSSWORTE
Christian Much, der Interimsdirektor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien (IANP) und bis 2016 deutscher Botschafter in Libyen, und Dr. Dorothee Weitbrecht, Geschäftsführerin und Gründerin der Elisabeth Käsemann Stiftung hießen Gäste und Publikum willkommen. Der „Preis, den Diktatoren für ihr Fehlverhalten zahlen müssen“ sei im Vergleich zu früher heute deutlich höher, sagte Much, und es sei zu hoffen, dass „die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung des Fehlverhaltens“ abnähme. Die IANP leiste ihren Beitrag dazu, indem sie Richter, Staatsanwälte, Anwälte und Opfervertreter aus einschlägigen Ländern ausbilde und Gerechtigkeitsmechanismen fördere. Weitbrecht betonte, die Verfolgung staatlicher Menschenrechtsverletzungen sei von zentraler Bedeutung beim Aufbau und Erhalt demokratischer staatlicher Strukturen in einer globalisierten Welt. Gemeinschaftliches, grenzüberschreitendes von gegenseitigem Respekt getragenes Engagement sei hier von großer Bedeutung. Die Verpflichtung, die demokratische Kultur zu fördern und die Menschenrechte zu schützen, verstünde die Stiftung als Konsequenz und Gründungsmotiv in Folge der Ermordung der Namensgeberin der Stiftung, Elisabeth Käsemanns, durch die argentinische Militärdiktatur im Jahr 1977.

Die Kulturreferentin der Stadt Nürnberg, Prof. Dr. Julia Lehner, hob die besondere Verantwortung der Stadt gegenüber der Aufarbeitung staatlicher Menschenrechtsvergehen hervor. Nicht nur aufgrund der Hauptkriegsverbrecherprozesse vor dem Internationalen Militärgerichtstribunal in den Jahren 1945/46, die im Schwurgerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalastes abgehalten wurden, und in dem das Elisabeth-Käsemann- Symposium stattfand. Nürnberg müsse mit dem so genannten „Reichsparteitagsgelände“ das größte architektonische Areal der nationalsozialistischen Diktatur verwalten. Als „Stadt des Friedens und der Menschenrechte“ wolle Nürnberg nachfolgenden Generationen die Möglichkeit geben, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.

Der stellvertretende Generalkonsul der Republik Argentinien, Esteban Morelli, betonte, dass Argentinien die Verbrechen der argentinischen Diktatur nicht nur strafrechtlich aufarbeite, sondern internationale Abkommen unterzeichnet habe, zum Schutz vor gewaltsamem Verschwindenlassen sowie zum Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit und sich besonders bei der Aufklärung der Verbrechen im Bereich der forensischen Medizin verdient gemacht habe. Argentinien fühle sich geehrt und gewürdigt, wenn argentinische Persönlichkeiten und Vertreter von Institutionen zum Thema Menschenrechte nach Deutschland eingeladen werden würden.

KEYNOTE
von Dr. Daniel Rafecas
In seiner Keynote erläuterte der argentinische Bundesermittlungsrichter Dr. Daniel Rafecas zunächst die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe der Entstehung der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983). Nachdem die Militärjunta die Macht im Lande übernommen habe, habe sie unter Führung des Heeres einen gigantischen Machtapparat aus Heer, Marine und Luftwaffe geschaffen, der in der Illegalität operierte und der alle oppositionellen Gruppen und Personen „ausmerzen“ sollte. Sie teilten das ganze Land in Zonen auf, die sie dem Führungspersonal der drei Streitkräfte unterstellten und bildeten Einsatzgruppen, die ihre Opfer in geheime Haftzentren entführten und sie dort folterten und töteten. Zwischen 1976 und 1977 existierten etwa 500 solcher Haftzentren, die bis zu 300 Gefangene aufnehmen konnten. Man gehe von 30.000 Opfern aus (auch wenn die Zahl heutzutage schwierig zu beziffern sei), von denen nur wenige überlebt haben. Es überlebten auch die etwa 500 Kinder und Babys, die ihren Müttern weggenommen wurden, um sie Militärangehörigen und deren Angehörigen zur Adoption zu übergeben.

Der argentinische Staatsterror verübte weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie sexuellen Missbrauch, systematischer Raub des Eigentums der Opfer, die unrechtmäßige Übertragung von Firmen auf Verbündete und die systematische Verfolgung der Gewerkschaften.

Als in einem ersten großen Prozess führende Militärangehörige zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, keimte die Hoffnung, dass nun landesweit Menschenrechtsverletzungen, die auch auf unterer verantwortlicher Ebene begangen worden waren, strafrechtlich verfolgt würden. Die Hoffnung habe getäuscht, denn die junge Demokratie wurde abermals von einem Militärputsch bedroht. Vor dieser Gefahr habe die damalige Politik kapituliert und Gesetze verabschiedet, die zu Begnadigungen und einer weitgehenden Amnestie führten. Von 1987 bis 2001 habe Straflosigkeit in Argentinien geherrscht. Die Opferangehörigen und Menschenrechtsorganisationen hatten keine andere Wahl als den Weg der internationalen Strafverfolgung zu gehen, was dazu führte, dass in Madrid, Rom, Nürnberg, Paris und an anderen Orten der Welt Ermittlungen im Falle der argentinischen staatlichen Menschenrechtsverletzungen aufgenommen wurden.

Unter dem so erzeugten Druck hätten die herrschenden Gesellschaftsgruppen das Narrativ vom „schmutzigen Krieg“ entworfen, von zwei Dämonen, die sich im Kampf befunden hätten. Es sei nun an der Zeit, „die Seite umzublättern“, den „Blick nach vorne zu richten“ und die Argentinier zu versöhnen. Das Prinzip der Straflosigkeit wurde gebrochen, als 2001 ein argentinischer Bundesrichter einen Fall wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit eröffnete und einen Folterer verhaftete. Der Fall „Simon“ gelangte 2005 vor den obersten Gerichtshof und führte in Argentinien zu einem Richtungswechsel. Der Gerichtshof orientierte sich an der internationalen Gemeinschaft und gab damit das Signal, dass alle rechtlichen Hindernisse im Falle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit beseitigt werden sollten. Seither wurden in allen größeren Städten Verfahren eröffnet, die bis dato zu 750 Verurteilungen und weiteren 800 Anklagen geführt haben. Als Bundesrichter habe er etwa 200 Täter verhaftet und vor Gericht bringen lassen. Mehr als die Hälfte der Angeklagten wurden verurteilt. Diese Verfahren hätten strikt verfassungsrechtlichen Grundsätzen entsprochen, einschließlich Unschuldsvermutung, Rechtsverteidigung und Anrufung einer zweiten Instanz. Etwa 300 Angeklagte wurden aus Mangel an Beweisen frei gesprochen oder erhielten aufgrund ihres Alters Hausarrest statt Haft in einem Gefängnis. Derzeit seien weniger Verurteilte in Haft (455 Personen) als unter Hausarrest (518 Personen). Die Urteile belegten die Rechtmäßigkeit der Verfahren, denn die überwiegende Mehrheit der Urteile wurde wegen Freiheitsberaubung und Folter ausgesprochen. Urteile wegen Mordes waren wegen des Mangels an Beweisen seltener. Da Völkermord aus politischer Motivation und gewaltsames Verschwindenlassen nicht in der UN-Konvention von 1948 verankert waren, wurden diese argentinischen Verbrechen als juristische Tatbestände entsprechend nationaler verfassungsrechtlicher Prinzipien verworfen.

Bei einem Vergleich der strafrechtlichen Aufarbeitung staatlicher Menschenrechtsverletzungen in Deutschland und Argentinien stellte Rafecas Parallelen fest. Beide Länder hätten für die strafrechtliche Aufarbeitung ihrer staatlichen Verbrechen Jahrzehnte gebraucht. Die Strategien der Straflosigkeit, wie die Erklärung von Verjährung von Straftaten und versteckte Amnestien, ähnelten sich auf bemerkenswerte Art. Die Straflosigkeit war in beiden Ländern begleitet von den dominierenden Diskursen über Vergessen und Versöhnung. In Deutschland waren es Amtsrichter, die mit dem Urteil im Einsatzgruppenprozess von Ulm, in den 60er Jahren, die Verfahren vorantrieben. So auch in Argentinien. In beiden Fällen respektierte die Justiz die Straf- und Verfahrensgarantien für die Angeklagten. Es kam zu einer hohen Zahl von Anklagen, in Deutschland etwa 6000 und in Argentinien etwa 1500 (die Zahl steigt aber stetig). Sowohl in Deutschland als auch in Argentinien hätten die Urteile und Strafprozesse eine breite Wirkung erzeugt. Vermittelt über einen ehrlichen Blick auf die jüngste Vergangenheit staatlicher Gewalt würde versucht werden, Lehren und Garantien der Nichtwiederholung zu ziehen. Inzwischen erhalten und erhielten die Verfahren in beiden Ländern die Unterstützung durch die öffentliche Meinung und jeder Versuch der Umkehrung würde als etwas Negatives verstanden und zum Ziel öffentlicher Ablehnung. Die Prozesse erreichten heute alle Täter, vom Oberkommando über die mittlere Ebene bis hin zum unmittelbaren Vollstrecker. In wenigen Ausnahmen seien auch zivile Kollaborateure verurteilt worden, wie Unternehmer oder Beamte.

In einigen Punkte unterscheide sich die argentinische strafrechtliche Aufarbeitung von der deutschen. Vergleiche man das Verhältnis von Ausmaß der Verbrechen und angestrengter Prozesse scheint in Argentinien eine größere Dynamik bei der Strafverfolgung erreicht worden zu sein als in Deutschland. Das durchschnittliche Strafmaß sei in den argentinischen Fällen deutlich höher als in den deutschen. Und zwar weitgehend durch die Anwendung verschiedener Theorien zur Urheberschaft von Verbrechen, die in Deutschland in vielen Fällen zu einem privilegierten Urteilspruch geführt habe. Das Engagement der Überlebenden, der Opfervertreter, der Angehörigen und der Menschenrechtsorganisationen war entscheidend für die Entwicklung und die Fortführung der Gerichtsverfahren in Argentinien. Dies erscheint im deutschen Fall nicht so gewesen zu sein, wo der Impuls vor allem von der Arbeit von Staatsanwälten ausging, die auf diese Verbrechen spezialisiert waren.

Zusammenfassend sei festzuhalten, dass der Fall Argentinien ein klares Beispiel dafür gewesen sei wie die internationale Gemeinschaft Bedingungen dafür geschaffen habe, dass politische Entscheidungsträger und örtliche Justizbehörden die Entscheidung getroffen hätten, im Falle massiver Menschenrechtsverletzungen die Grundlage für Wahrheitsfindung und Strafverfolgung zu schaffen.

Am Fall Argentinien zeige sich, dass dies der einzige Weg sei, um zu verhindern, dass die Täter und ihre Anhänger ihre Ziele, nämlich das Vergessen, die Leugnung und die Straflosigkeit erreichten. Jahrzehntelang wurden relativierende Diskurse oder gar Leugnung des Staatsterrorismus verbreitet und die Gesellschaft stand der Aufarbeitung gleichgültig gegenüber. In diesem Sinne ist vielleicht die größte Lehre, die aus dem argentinische Fall gezogen werden müsse, dass die Öffentlichkeit und Gesellschaft erst in dem Maße wie Ermittlungen und Verfahren voranschritten, die Schwere und das Ausmaß des absoluten Bösen unter sich erkannt habe. Aufgrund dieser Erkenntnis unterstützen die Bürgerinnen und Bürger die Verfahren konstant und ganz offen, insbesondere die jüngere Generation. Man könne sagen, dass die Gerichtsverfahren der letzten zehn Jahre zu einem heilsamen Prozess der Erinnerung, der Wahrheit und Gerechtigkeit geführt haben. Sie hätten zur Ablehnung der seit dem 20. Jahrhundert tief verwurzelten autoritären Kultur in seinem Land und zur Verankerung demokratischer Werte beigetragen.

Heute wären Erinnerungskultur, Wahrheit und Gerechtigkeit Teil des Gesellschaftsvertrages der Argentinier.

PODIUMSDISKUSSION

Teilnehmer:
Dr. Rosario Figari Layús, Philipps-Universität Marburg

Prof. Dr. Daniel Rafecas (Argentinien), Bundesermittlungsrichter, Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Buenos Aires

Leitender Oberstaatsanwalt Jens Rommel, Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, Ludwigsburg

Prof. Dr. Christoph Safferling, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Moderation:
Prof. Dr. Susanne Buckley-Zistel, Geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg

Von links: Leitender Oberstaatsanwalt Jens Rommel, Dr. Daniel Rafecas, Prof. Dr. Buckley-Zistel, Prof. Dr. Christoph Safferling, Dr. Rosario Figari-Layús.

Die Moderatorin Susanne Buckley-Zistel, Geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg, eröffnete die Podiumsdiskussion mit der Feststellung, dass die Art und Weise wie Diplomatie und Justiz in den 70er Jahren mit dem Fall Elisabeth Käsemann umgegangen seien, heute nicht mehr möglich wäre. Der Wert der Menschenrechte sei im Gegensatz zu früher in internationalen Zusammenhängen deutlich höher angesiedelt, das zeige sich an den nationalen und internationalen Reaktionen auf die Verhaftung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei. Auch die Möglichkeiten zur strafrechtlichen Verfolgung hätten sich weiterentwickelt und verbessert.

Christoph Safferling, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, und Jens Rommel, Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, betonten die Bedeutung internationaler Strafverfolgung sowohl in Gestalt von internationalen Strafgerichtshöfen als auch des Strafgerichthofes in Den Haag. Trotz mancher Schwächen und berechtigter Kritik an den Gerichtshöfen sei schon der damit formulierte Anspruch einer Strafverfolgung staatlicher Verbrechen über die eigenen Grenzen hinaus von hoher symbolischer Kraft und die Politik weltweit müsse sich mit diesem Anspruch auseinandersetzen. Eine Alternative sei das Weltrechtsprinzip, nach welchem Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die weder in dem Land, in dem sie verübt wurden, noch von internationalen Gerichte verhandelt werden, vor anderen nationalen Gerichten verhandelt werden können, so wie dies in Deutschland aktuell im Falle syrischer Folterer diskutiert würde.

Von links: Prof. Dr. Christoph Safferling, Dr. Daniel Rafecas, Prof. Dr. Buckley-Zistel, Dr. Rosario Figari-Layús, Leitender Oberstaatsanwalt Jens Rommel.

Auf die Frage nach der Rolle der argentinischen Zivilgesellschaft bei der Verfolgung staatlicher Verbrechen antwortete die argentinische Soziologin und Politikwissenschaftlerin Rosario Figari-Layus, zivilgesellschaftliche Organisationen, wie beispielsweise die Hijos (Kinder der Verschwundenen), seien entscheidende Akteure bei der Aufarbeitung der Vergangenheit. Bereits während der Diktatur hätten Angehörige mit ihrer Suche nach den Verschwunden auf die Verbrechen aufmerksam gemacht. Nach der Diktatur waren es die Überlebenden und Opferangehörigen unterstützt von Menschenrechtsorganisationen, die Klagen einreichten, sowohl vor dem Interamerikanischen Gerichtshof als auch im Ausland, und damit Druck auf den Staat und die Justiz in Argentinien ausübten. Noch heute ginge ein starker Impuls von diesen Organisationen aus. Den Opfern staatlicher Menschenrechtsverletzungen sei aber nicht nur die juristische Aufarbeitung wichtig. Für sie sei auch die gesamtgesellschaftliche Entschädigung relevant, die in Argentinien eine Veränderung der rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bedeute, unter denen die Verfahren stattfänden. In vielen Provinzen Argentiniens hätten Täter noch lange nach Ende der Diktatur Positionen in staatlichen Institutionen inne gehabt und Angst verbreitet. Hinzu wären der Pakt des Schweigens und die Stigmatisierung der Opfer und Überlebenden gekommen. Heute müsse der Staat vor allem weiterhin seiner Aufgabe nachkommen und die Beschleunigung und Finanzierung der Verfahren als Staatspolitik gewährleisten.

Für Rafecas war es eine sehr überraschende und wichtige Erfahrung, dass für die Opfer im Zusammenhang mit den Verfahren nichts von vergleichbarer Bedeutung gewesen sei, als die einfache Feststellung, wer Opfer und wer Täter gewesen sei. Die Wiederherstellung gesellschaftlicher Normen und Gesetzmäßigkeiten habe für die Opfer Vorrang vor allen anderen Maßnahmen der Wiedergutmachung und sei für sein Land von unvergleichbarer konstituierender Bedeutung gewesen. Jede andere im Rahmen der transnationalen Justiz diskutierte Maßnahme sei hierzu untergeordnet.
Im Gegensatz zu Argentinien würde am Beispiel Deutschlands deutlich, dass die Zivilgesellschaft bei der Vergangenheitsaufarbeitung auch wenig unterstützend wirken könne. Die öffentliche Meinung in Deutschland habe immer zum so genannten „Schlusstrich“ tendiert, hielt Rommel fest. Zudem habe die Einwirkung politischer Akteure die Entwicklung in Deutschland sehr beeinflusst, wie sich an dem schwierigen Konstrukt der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zeige. Die Behörde habe keinerlei exekutive Kompetenzen und lediglich die Aufgabe, im Falle nationalsozialistischer Verbrechen die Vorermittlungen durchzuführen. Die Entwicklung der Rechtsprechung in Deutschland dauere bis heute an. Erst im Zuge der letzten beiden Prozesse gegen nationalsozialistische Täter in Detmold und Lüneburg sei die Verantwortung des Einzelnen in einem verbrecherischen System neu bewertet worden. Deutschland habe sich zudem nicht sehr kooperationsbereit gezeigt, wenn im Ausland, beispielsweise in Italien oder Frankreich, Verfahren gegen nationalsozialistische Täter eröffnet worden seien.
Im argentinischen Verfahren zu Elisabeth Käsemann sei die Bundesregierung als Nebenklägerin aufgetreten. Ob es weitere Beispiele internationaler Kooperationen gegeben habe, fragte Buckley-Zistel den argentinischen Bundesrichter. Rafecas verwies auf die intensive bilaterale Zusammenarbeit der argentinischen Justiz mit Spanien und dem Bundesrichter Baltasar Garzón. Die im Zusammenhang mit den spanischen Opfern der argentinischen Militärdiktatur angestrengten Auslieferungsverfahren habe erstmals eine Fülle an Zeugenaussagen und dokumentarisches Material produziert. Argentinien habe nach Ende der Straflosigkeit darauf zurückgreifen können. Zudem hätten er und Garzón bei einem Treffen, bei dem die rechtsgültigen Akten der argentinischen Justiz übergeben wurden, ihre juristische Argumentation in den Verfahren koordiniert.
Als Bumerangeffekt bezeichnet Buckley-Zistel, dass heute in Argentinien Verfahren gegen Täter der Franco-Diktatur in Spanien (1936-1977) anhängig seien. Rafecas räumte ein, dass es etwas eigenartig wirke, wenn ein Land, das sich auf dem Wege der Entwicklung befände, beanspruche, sich mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem Land wie Spanien zu befassen. Die Konstellationen im 21. Jahrhundert würden dies ermöglichen. Opfer und Überlebende der Franco-Diktatur hätten erreicht, dass die argentinische Justiz die Ermittlungen in ihren Fällen aufgenommen hätten. Das Verfahren habe eine große Dynamik und die zuständige Richterin habe bereits mehrere Ersuchen an die spanische Regierung gestellt. Spanien zeige aber keine Reaktion. Man habe jedoch Erwartungen öffentlich formuliert, was ermögliche, dass nun in Nürnberg über die Situation diskutiert würde. Dies Beispiel zeige, wie wichtig die Herstellung von Öffentlichkeit in solchen Verfahren sei.
In der abschließenden Beurteilung waren sich die Diskussionsteilnehmer einig, dass Demokratie und Menschenrechte mit den schärfsten Mitteln, die eine Demokratie bietet, verteidigt werden müsse, nämlich mit Strafverfolgung. Die Verfahren hätten seinem Land zur Konsolidierung der demokratischen Kultur und zur Ablehnung der tief verwurzelten autoritären Kultur verholfen, erklärte Daniel Rafecas.
Jens Rommel gab jedoch zu bedenken, dass der Anspruch an die Justiz nicht zu hoch werden dürfe. Aus der Enttäuschung über eine wider Erwarten fehlbare Justiz resultierende Zweifel an der Rechtsprechung dienen am Ende den Tätern. Auch Figari-Layus wies auf die Schwächen der Justiz in ihrem Land und Lateinamerika hin, die eine Kriminalisierung sozialer Proteste und von Verteidigern der Menschenrechte unterstütze.
Die Vertreter der bayerischen Justiz, unter ihnen der Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg Dr. Christoph Strötz, der Vizepräsident des Oberlandesgerichts Manfred Schwerdtner und Generalstaatsanwalt Lothar Schmitt verfolgten das Symposium mit großem Interesse und nützten den Empfang im Anschluss an die Veranstaltung für weitere Gespräche und Diskussionen.
Von links: Christian Much, Leitender Oberstaatsanwalt Jens Rommel, Oberstaatsanwalt Walter Grandpair (stellte die internationalen Haftbefehle im Fall Käsemann gegen Mitglieder der argentinischen Militärjunta aus), Dr. Dorothee Weitbrecht, Dr. Daniel Rafecas, Prof. Dr. Buckley-Zistel, Prof. Dr. Christoph Safferling, Prof. Dr. Thomas Fischer (Kurator der Elisabeth Käsemann Stiftung), Dr. Rosario Figari-Layús.
Von der Elisabeth Käsemann Stiftung: Beirätin Mona Hafez, Geschäftsführerin Dr. Dorothee Weitbrecht, Kurator Prof. Dr. Thomas Fischer, Beirat Stefan Drößler (von links)